Interview mit Stephan Wagner

Ohne zahllose Gespräche läuft es einfach nicht, aber gerade das ist es, was Stephan Wagner so an seiner Aufgabe schätzt. Auch, wenn mal gestritten und diskutiert wird, wenn es mal etwas höher hergeht, findet er, dass doch genau das das Salz in der Suppe ist. Außerdem sind seine Gesprächspartner ja ebenfalls ausgewiesene Profis und Experten für ihre Sache, sodass das Ganze auf sehr hohem kaufmännischem und kommunikativem Niveau stattfindet.

Viele seiner Ansprechpartner kennt er natürlich schon seit Jahren, andere lernt er gerne neu kennen. Manche besuchen ihn, manche besucht er, manche trifft er auf Messen oder Veranstaltungen und seit Corona nimmt er auch viele Gespräche per Videokonferenz wahr – langweilig ist ihm also nie. Stefan Wagner sagt, dass im Einkauf das Heil liegt, was seine Gesprächspartner gerne damit kontern, dass das doch wohl eher auf den Verkauf zutrifft. Aber das passt schon...

 

Handel geht nur Hand in Hand

Handelshof: Herr Wagner, was lange währt …

Stephan Wagner: Sagen Sie das, weil wir für unsere Terminvereinbarung so lange gebraucht haben? Wenn nämlich nicht, dann würde ich Ihnen schon gleich zu Beginn widersprechen wollen.

HH: Ich meine den Termin – ich weiß ja, dass bei Ihnen der Faktor „Tempo“ eine große Rolle spielt.

SW: Aber jetzt haben wir uns ja gefunden.

HH: Ja und nein, könnte man sagen – immerhin sprechen wir ja nicht persönlich, sondern per Videokonferenz miteinander. Eigentlich schade. Ich als bekennendes Leckermaul hatte mich schon darauf gefreut, dass Sie vielleicht eine Produktprobe zur Hand hätten, von der man sich hemmungslos bedienen könnte – alles im Sinne der inhaltlichen Erkenntnis, natürlich …

SW: Haha – inhaltliche Erkenntnis ist gut, aber hier (dreht sich und die Kamera zur Seite und öffnet die Türen eines Sideboards), Sie können ja wenigstens mal gucken.

HH: Oh. Das – ist – ja – eine – ganz schöne Auswahl.

SW: Wenn auch nur eine ziemlich kleine.

HH: Gutes Stichwort! Was genau kaufen Sie denn für den Handelshof ein?

SW: Getränke, Süßwaren und Tabak.

HH: Klingt jetzt erst mal recht übersichtlich …

SW: Aber nur, wenn man die Übersicht dabei auch behält. Alleine bei den Süßwaren – zu denen auch salziges Knabberzeug und Nüsse zählen – sind es immerhin über 4.500 verschiedene Produkte.

HH: Nicht schlecht, aber: salzige Süßwaren?

SW: Das ist nicht unbedingt unsere Idee, das hat sich wohl irgendwann mal irgendwo so ergeben, aber fragen Sie mich jetzt bitte nicht nach dem Warum. Wir waren das jedenfalls nicht … (grinst)

HH: Okay, will ich auch gar nicht wissen. Wie sieht es denn bei den Getränken aus?

SW: Da kommen wir so ungefähr auf 2.500 Produkte – und bei Tabak auf ca. 2.000 Produkte.

HH: Puh. Wer sind denn Ihre typischen Kunden für alle diese Massen von verschiedenen Artikeln?

SW: Wenn wir kleine Abnehmer wie Anwälte, Ärzte, Handwerker mal weglassen, sind das: Hotels für ihre Snacks in der Minibar, Betreiber von Snackautomaten in großen Firmen, in Krankenhäusern, an Bahnhöfen und Flughäfen und so und dann natürlich – ganz entscheidend wichtig – die Kioske.

HH: Also, das mit den Automatenbetreibern hätte ich zwar jetzt nicht gedacht, aber die Sache mit den Kiosken ist ja schon ziemlich logisch. Wie viel passt denn in einen typischen Kiosk so rein?

SW: Das kann man im Grunde so nicht beantworten, weil jeder Kiosk anders bestückt ist und andere Kunden hat. Was man aber sagen kann, ist, dass der allergrößte Anteil des Sortiments bewährte Artikel sind, die schnell abverkauft werden. Und dass gerne auch immer mal wieder Neuheiten ausprobiert werden. Ob die dann gut laufen oder nicht, muss der Betreiber sehen: Was nicht läuft, fliegt – zack – wieder aus der Auslage. Aber wie schon gesagt: Der Kioskbetreiber kann je nach Wunsch und Wille bei uns grundsätzlich unter den verschiedensten Artikeln wählen.

HH: Ich beginne gerade zu verstehen, warum Sie eben gesagt haben, dass Ihr Schrank da hinten nur eine ziemlich kleine Auswahl enthält. Aber sagen Sie mal … gesund ist das alles ja nicht gerade, oder?

SW: Das sind Lebensmittel für den kleinen Hunger oder Durst zwischendurch. Wie immer ist die Menge entscheidend und Kioske sind ja auch keine Bioläden, sondern sollen die spontanen, die sehr frühen oder die sehr späten Gelüste und Bedürfnisse ihrer Lauf- und Stammkundschaft befriedigen.

HH: Verstehe, aber dass Sie dermaßen gut in Form sind – also ich könnte das nicht …

SW: Ich bin schon ein großer Schokoladenfreund, aber ich sitze ja auch nicht den ganzen Tag im Büro und esse. Übrigens bringe ich meinem Zahnarzt immer mal eine Tafel Schokolade mit. Am besten mit Nüssen … Und der freut sich jedes Mal.

HH: Ausgerechnet! … Aber zurück in unseren typischen Kiosk – gerade auch in den größeren Städten vermute ich, dass die Kioske ihr Ohr sozusagen unmittelbar am Puls der Zeit haben. Die ganzen Lauf- und Stammkunden fragen nach irgendwelchen neuen Produkten oder Trendware oder so. Und dann fragt der Kioskbesitzer diese Produkte bei Ihnen nach und Sie wissen, was die nächste Welle wird.

SW: Oh, Herr van Moll, da könnten Sie aber falscher nicht liegen! Das Kioskgeschäft funktioniert vollkommen anders. Überlegen Sie mal: Wann haben Sie das letzte Mal Ihrem Kioskmann oder Ihrer Kioskfrau solche Fragen gestellt? – Eben. Ein typischer Kioskkunde – also, ich meine jetzt den Kunden IM Kiosk – ist superkonservativ, dem können Sie 14 verschiedene Karamell-Schoko-Erdnuss-Riegel hinlegen, wenn er Snickers kennt, wird der immer auch ein Snickers kaufen. Einerseits heißt das Ganze ja „Impulsware“, andererseits wird zwar dem Impuls selbst nachgegeben, aber auch nicht wahllos irgendein Riegel gekauft, weil er gerade gut und greifbar in der Mitte liegt. Und so ist das bei so gut wie allen Artikeln. Kioske sind auf die Schnelldreher aus, also auf Ware, die sie mit höchster Wahrscheinlichkeit, hohem Tempo und vernünftiger Marge an den Mann oder an die Frau bringen.

HH: Also doch nicht so viel Interesse an Neuem?

SW: Fast nicht, das kann man bei Getränken ganz gut sehen: Craftbiere zum Beispiel laufen im Kiosk selbst so gut wie gar nicht. Die Kioskkunden haben ihre Marke und gut. Selbstverständlich haben wir auch Craftbiere für die entsprechende Szene im Sortiment, aber erstens kaufen die Kioskbetreiber sie kaum ein und zweitens sind wir ja auch keine Trendsetter, sondern am ehesten noch Trend-Artikel-Händler. Wenn wir oder der Kioskbetreiber also mit aller Gewalt versuchen würden, hier in den Markt einzudringen und wertvollen Auslageplatz dafür einzusetzen, um etwas Neues anzubieten, dann geht das so gut wie immer nach hinten los. Andererseits kann es sein, dass ein mir oder Ihnen total unbekannter Künstler, zum Beispiel ein sozialmedial extrem gut vernetzter Rapper, wie aus dem Nichts einen Eistee unter seinem Namen rausbringt und fünf Minuten später kommt der erste Jugendliche und fragt dann nach genau dem im Kiosk seines Vertrauens.

HH: Dann müssen Sie sehen, wie Sie quasi aus dem Nichts an diesen Eistee kommen.

SW: Wenn der Nachfragedruck groß genug ist, dann ja, Stichwort Trend-Artikel-Händler. Aber wir sind natürlich ziemlich gut vernetzt und haben da so unsere Quellen …

HH: Dann kommen wir jetzt zu Ihrer Profession, zum Einkauf selbst. Sie haben tausende Artikel und wahrscheinlich hunderte Lieferanten und Partner. Wie kaufen Sie eigentlich ein?

SW: Im Grunde gibt es zwei Bereiche, nämlich die Artikel, die schon gelistet sind, und die, denen dieses Kunststück noch nicht oder nicht mehr gelungen ist.

HH: Gelistete?

SW: So nennen wir es, wenn ein Artikel auf einer Liste steht, die unseren jeweiligen Disponenten sagt: Ja, das könnt ihr einkaufen, der Preis und andere Konditionen sind bereits ausverhandelt, einer Bestellung beim Hersteller steht nichts im Wege. Und dann gibt es ja noch die ungelisteten Artikel.

HH: Die noch ganz am Anfang stehen.

SW: Genau – oder schon wieder am Ende. Sie werden sich wahrscheinlich fragen, ob wir die einfach nicht wollen oder ob wir die schlicht noch nicht kennen oder ob sie schon wieder ausgelistet wurden, weil sie einfach am Markt nicht performt haben.

HH: Öhm – ja, wahrscheinlich wollte ich das …

SW (grinst): Sehen Sie … Alles passiert fast immer im persönlichen Gespräch. Und es kann immer auch sein, dass man beim Preis oder bei irgendwelchen Konditionen nicht zusammenfindet. Dann war das Listungsgespräch leider nicht erfolgreich. Auf ähnliche Weise werden Artikel übrigens auch wieder ausgelistet – meist im Gespräch. Und wenn ein Lieferant eine Produktinnovation hat, dann wird er sie immer persönlich vorstellen, es wird begutachtet, probiert, ein Preis diskutiert und wenn wir für das Produkt eine Möglichkeit am Markt sehen, dann listen wir es neu ein.

Steckbrief

Stephan Wagner, Jahrgang 1979, hat fast sein gesamtes berufliches Leben beim Handelshof zugebracht; nur ein kurzer Abstecher in die Systemgastronomie nach der Schule bildet da eine Ausnahme. Im Anschluss kehrte er zurück und machte eine fundierte Ausbildung zum Groß- und Außenhandelskaufmann, um danach voll ins Unternehmen einzusteigen. Schon 2011 übernahm er mit gerade mal 31 Jahren die Bereichsleitung und den zentralen Einkauf für Getränke, 2015 kamen dann die Süßwaren und Tabakwaren hinzu: Eine Aufgabe, der er sich mit großer Begeisterung und jeder Menge Kompetenz und Engagement widmet. Er selbst sagt von sich, dass er – im Gegensatz zu vielen anderen Menschen – seinen Beruf zu seinem Hobby gemacht hat.

Der Vater von zwei Kindern und zwei aus Ungarn geretteten Straßenhunden ist riesiger Irland-Fan und versucht, so oft wie möglich Zeit auf „der grünsten Insel der Welt“ (Wagner) zu verbringen.

HH: Aber das klappt doch bestimmt nicht immer.

SW: Oh nein, das klappt gar nicht immer, darum versuchen wir ja im Vorfeld so viel wie möglich zu erfahren. Und wenn der zuckerfreie, vegane, fair gehandelte Quinoa-35-Gramm-Riegel für € 5,99 nach Pressspan schmeckt, dann sind wir vielleicht nicht der richtige Vertriebspartner. Andererseits – und das finde ich persönlich ganz gut: Manchmal stellen uns die Leute Artikel vor, die wir nicht schlecht finden, denen wir aber aus irgendeinem Grund noch nicht zu 100 % vertrauen. Die würden wir dann vielleicht listen, aber nicht einkaufen, sondern nur auf Kommission vertreiben.

HH: Heißt?

SW: Heißt, dass wir bei gelisteten Artikeln bestimmte Tranchen zu festgelegten Preisen aushandeln und einkaufen. Bei Kommissionsware kaufen wir nichts ein, sorgen aber dafür, dass der Artikel es auf die Liste schafft. Dann kann der Kioskbetreiber das Produkt zwar bei uns einkaufen, der Hersteller wird allerdings auch nur für das bezahlt, was wir bei uns im Handelshof-Markt verkaufen. Wenn es nicht läuft und die Ware wieder aussortiert wird, dann ist das alleine Sache des Herstellers.

HH: Und was finden Sie so gut daran?

SW: Ich mag die Fairness dahinter. Der Hersteller bekommt seine Chance, wir machen da ja auch mit, müssen dafür dann aber auch nicht ins wirtschaftliche Risiko.

HH: Im Grunde haben Sie mit dem Tagesgeschäft gar nichts am Hut. Sie verhandeln und handeln Konditionen aus und wenn alle Seiten zufrieden sind, dann kommt der Artikel auf die Liste.

SW: Oha! Der Einkauf ist aus meiner Sicht die alles entscheidende Schnittstelle aller Komponenten im Handel. Und das ist sehr wohl Tagesgeschäft. Mein Tagesgeschäft.

HH: Sorry – ich wollte Ihnen nicht auf die Füße treten (grinst). Ich meinte mit Tagesgeschäft auch eher, wie genau jetzt der Handelshof in XYZ an seine Ware für „seine“ Kioskbetreiber, Hotels oder Automatenaufsteller kommt.

SW: Ach so. Ja, das stimmt. Darum muss er sich selber kümmern. Wir machen „nur“ die Listung klar.

HH: Das heißt, Sie schaffen die Bedingungen, der Rest ist dann Sache der Disponenten?

SW: Aus dem Lehrbuch zitiert sorgt ein Disponent dafür, dass das richtige Material in der richtigen Menge in der richtigen Qualität zur richtigen Zeit am richtigen Ort zum richtigen Preis verfügbar ist. Einen gewissen Teil dieser Aufgabe nehmen wir ihm im Vorfeld ab, zum Beispiel das mit der Qualität und dem Preis, aber um den Rest muss er sich dann selber kümmern.

HH: Also meldet sich der Disponent nicht bei Ihnen, wenn er 5.000 Snickers braucht, sondern er bestellt anhand der Liste und der von Ihnen verhandelten Konditionen direkt beim Hersteller. Aber bei 16 Warengruppen pro Markt: Wie behält der Disponent denn den Überblick über 80.000 Artikel?

SW: Jeder Markt hat seine eigenen Disponenten, also Fachleute für die jeweiligen Warengruppen. Ich kaufe ja auch nur Getränke, Süßwaren und Tabakwaren ein und keine Kaffeemaschinen.

HH: Das müssen ja dann sehr viele Disponenten sein … Noch mal kurz zu den Listungsgesprächen. Ich meine, es ist sicher nicht damit getan, einmal zu reden und sich dann für 12 Jahre wieder hinzulegen.

SW: Allerdings nicht. Wir reden mindestens einmal jährlich mit unseren Partnern, manchmal auch häufiger. Da kommt in meinem Fall eine ganz schöne Menge zusammen.

HH: Was erklärt …

SW: … dass unsere Produkte so gut, unsere Auswahl so groß, unsere Preise so attraktiv und unsere Zuverlässigkeit so hoch ist?

HH: Äh, ja. Genau das wollte ich nicht sagen – natürlich, ohne Ihnen widersprechen zu wollen. Ich komme gerade dahinter, warum es für dieses Interview hier mit der Terminfindung nicht so einfach war. Kein Wunder bei den ganzen Gesprächen, die Sie da andauernd so führen.

SW (schmunzelt): Das kaufmännische Gespräch ist nun mal Hauptteil meiner Aufgaben – Interviews kommen da eher irgendwo hinter dem Komma.

HH (grinst): Nachvollziehbar. Haben Sie denn zum Abschluss wenigstens EIN Produkt, das neu in den Kiosken und Automaten und Hotels gelandet ist und auch wirklich ein Erfolg war?

SW: Ja. Das habe ich tatsächlich. Das war, als sie das Knoppers verriegelt haben.

HH: Die haben WAS?

SW: Sie haben richtig gehört. August Storck hat sich getraut, das quadratische Knoppers in Riegel zu schneiden. Das Knoppers wurde also „verriegelt“ und verkauft sich wie – ähm – geschnitten Brot.

HH: Herr Wagner, vielen Dank für die Ausführungen. Ich habe, ohne Quatsch jetzt, eine Menge gelernt und dabei auch noch viel Spaß gehabt. Vielleicht treffen wir uns ja doch noch mal persönlich.

SW: Gerne. Probieren Sie bei der Gelegenheit mal DEN hier (greift nach einem Knoppers-Riegel) …

HH: Ich glaube nicht, dass ich so lange warten will. Dann muss das Schleckermaul eben noch mal schnell zum Kiosk …

SW: Haha! Guten Appetit!

Interview und Redaktion: Joachim van Moll