Interview mit Dirk Wüstenberg: Nachhaltigkeit Fischverzehr

Erfahren Sie, was Sie als Verbraucher für die Meere tun können, warum es ohne Regeln einfach nicht geht, warum Pauschalisierungen niemanden weiterbringen, warum Geiz überhaupt nicht geil ist und wie sich vernünftige Leute anhören.

Die begrenzte Ressource

Handelshof: Herr Wüstenberg, wenn ich auf die natürlichste Weise Fisch essen möchte – was müsste ich tun?

Dirk Wüstenberg: Also, wenn Sie es wirklich ganz auf die Spitze treiben wollen, dann sollten Sie zur richtigen Zeit mit Ihrem Fahrrad ans Meer oder an ein Binnengewässer fahren, rauspaddeln, Ihre Angel ins Wasser halten und sich einen Fisch fangen. Und dann natürlich auch essen, was Sie fangen.

HH: Illusorisch.

D. W.: Ja, ist es. Sie würden sich ja wahrscheinlich auch kein Ferkel kaufen, es monatelang artgerecht halten und füttern, damit Sie dann irgendwann später ein schönes Schnitzel bekommen. So funktioniert das in unserer Welt einfach nicht mehr. Dazu ist die Nachfrage nach Fisch einfach viel zu groß.

HH: Womit wir zur Nachhaltigkeit kommen. Was kann ich als Verbraucher idealerweise dazu beitragen?

D. W.: Eine ganze Menge, wenn Sie es genau betrachten.

HH: Also?

D. W.: Sehr wichtig ist, dass Sie auf zertifizierte Produkte achten, also auf Fisch, der mit dem ASC-oder dem MSC-Siegel versehen ist. Auch Bioland- und Naturland-Siegel geben Aufschluss über nachhaltigen, regulierten und kontrollierten Fang und entsprechende Fangmethoden.

HH: Witzig, dass das nicht Bio-Meer- und Natur-Gewässer-Siegel heißt …

D. W.: Na ja – es geht ja nicht zwingend um den Namen des Siegels, sondern darum, was es aussagt.

HH: Gutes Stichwort. Was sagen die Siegel denn aus?

D. W.: Einiges! Aber der Reihe nach: Das MSC-Siegel bestätigt die kontrollierte und nachhaltige Befischung in offenen Gewässern, also meist in den Meeren, das steht schon im Namen: „Marine Stewardship Council“. Das ASC-Siegel ist sozusagen sein domestizierter Bruder, weil hiermit die Tiere gemeint sind, die aus Aquakulturen stammen: „Aquaculture Stewardship Council“.

HH: Und Bioland und Naturland?

D. W.: Noch ein bisschen strenger und genauer. Das ist ähnlich wie beim Fleisch: Es gibt sehr nachhaltige und artgerechte Aufzucht und Haltung ohne Biosiegel und dann eben noch diejenigen, die sich dezidiert nach einem sehr umfangreichen Anforderungskatalog als „Bio“ zertifizieren lassen. Hier sind natürlich die Verbraucherpreise am höchsten. Jeder muss selber entscheiden, wie weit er gehen bzw. wie tief er in die Tasche greifen möchte. Ich bin aber der Meinung, dass man mit zertifizierter Ware insgesamt schon gut auf der sicheren Seite ist.

HH: Okay, jetzt haben Sie gesagt, dass es einiges gibt, was man beachten kann. Was außer den Zertifikaten gibt es denn noch?

D. W.: Ganz sicher die Regionalität! Wenn Sie Ware aus den deutschen Meeren oder zumindest aus den europäischen Gewässern kaufen, so ist das ganz sicher als nachhaltiger zu bewerten, als wenn Sie Produkte aus Asien oder Fernost beziehen.

HH: Inwiefern?

D. W.: Mal abgesehen vom Transport: weil hier die Kontrollen und Fangquoten viel engmaschiger umgesetzt werden – und auch, weil hier ziemlich viel über die jeweiligen Bestände bekannt ist.

HH: Wie meinen Sie das?

D. W.: Sie müssen sich mal in einem Atlas ansehen, wie groß so ein Meer sein kann. Zehntausende Quadratkilometer. Wenn man sich das mal vor Augen führt, dann versteht man sehr schnell, dass es DEN einen Bestand nicht gibt. Im Norden kann ein Bestand recht schwach sein, während im Osten alles stabil und sicher ist. Hier gibt es riesige Bestände an Rotbarsch, wohingegen 300 Seemeilen weiter südlich nur noch sehr wenig Rotbarsch steht. Das alles muss man wissen, damit an den richtigen Stellen der richtige Fisch in der richtigen Menge gefangen werden kann. Und das ist echt viel Arbeit.

HH: Die sich auf lange Sicht aber auszahlt.

D. W.: Ja klar! Und das ist ja auch der Sinn der Sache. Niemand hat ein Interesse daran, die Meere leer zu fischen. Dann hat der Fischer nichts mehr zu tun, wir haben nichts zum Handeln und die Teller bleiben leer. Gar nicht schön.

HH: Noch mal zu den Fangquoten. Die werden ja immer wieder heiß diskutiert.

D. W.: Natürlich werden sie das! Für die Fischer haben die Quoten direkte wirtschaftliche Auswirkungen, für den Verbraucher auch, weil manche Ware plötzlich teurer wird oder nicht mehr zu bekommen ist, und die Meeresbiologen haben da auch noch ihre Meinung. Und jetzt muss die Politik jedes Jahr aufs Neue den Spagat zwischen all den Interessengruppen hinbekommen. Kein leichtes Spiel.

HH: Aber ohne geht’s nicht, oder?

D. W.: Ganz klar nein. Wir müssen reguliert vorgehen, sonst bricht das Chaos aus oder die Bestände ein …

HH: … schön gesagt …

D. W.: … aber es wird jedes Jahr etwas besser, auch weil die Zusammenarbeit mit den Meeresbiologen immer besser wird. Die geben ihre Empfehlungen – je nach Fanggebiet und Fisch – und dann geht die große Rechnerei los. Jeder hat dann was zu meckern, aber wenn sich plötzlich die Kabeljau- oder Steinbutt-Bestände erholen und dafür in diesem Jahr in der Ostsee weniger Heringe gefischt werden dürfen, dann ist das sicher keine ganz schlechte Sache. Also wenn man den Markt als Ganzes betrachtet.

Steckbrief

Dirk Wüstenberg, Jahrgang 1964, hat sein ganzes Leben mit Fischen und Fischereiprodukten zugebracht. Schon als 16-Jähriger jobbte er in einer Räucherei, und auch später hat ihn sein beruflicher Werdegang durch so ziemlich alle Stationen geführt, die in Deutschland mit Fisch zu tun haben. Seit 2007 leitet er die Warengruppe Frischfisch und TK-Fisch Großabpackung beim Handelshof. Dirk Wüstenberg betreut in 18 Filialen ca. 55 Mitarbeiter, die meisten davon sind ausgebildete Köche.

In seiner Freizeit sucht er gerne die Nähe zum Wasser (wobei ihm das Meer lieber ist als ein See) und liest ein gutes Buch. Kein Wunder übrigens, dass seine Lieblingsspeise Fisch ist: eine ganze Seezunge, gebraten, mit einem Stückgewicht um die 500 Gramm.

HH: Also Nachhaltigkeit im Sinne des Marktes?

D. W.: Das ist sehr vereinfacht, aber so kann man das sagen, ja. Sie müssen das so sehen, das habe ich ja eben schon mal erwähnt: Keinem Händler, keinem Fischer und auch keinem Verbraucher ist damit gedient, wenn ein Fischbestand ruiniert ist. Und auch die Generationen nach uns sollen in den Genuss eines so wertvollen Lebensmittels kommen, wie Fisch das nun mal ist. Darum sind der bestmögliche Schutz der Meereswelt und das entsprechende Fischereimanagement so wichtig. Und übrigens auch so gut und professionell wie hier in Westeuropa. Und der Erfolg gibt uns ja recht.

HH: Klingt alles schön und gut, aber wenn ich lese, dass allein in Deutschland fast 58.500 Tonnen allein an Fischstäbchen pro Jahr gegessen werden, dann klingt das nicht besonders reflektiert und nachhaltig. Ist diese wahnsinnige Menge an Convenience-Produkten nicht gefährlich für die Bestände?

D. W.: Na ja – die schnelle Küche hat durchaus ihre Daseinsberechtigung. Einmal weil viele Endverbraucher oft davor zurückschrecken, Fisch frisch zuzubereiten, ganz einfach weil sie unsicher sind, wie das geht. Und bei den Profis, also den Gastronomen, fehlt es oft an Personal und Zeit, um ganze Fische zu portionieren, zu filetieren und so weiter, und das noch zu anständigen Preisen. Das muss man auch pragmatisch sehen.

HH: Das mit der Unsicherheit bei der Zubereitung kann ich irgendwie verstehen … Geht mir selber manchmal so.

D. W.: Dann machen Sie doch das Einfachste der Welt und fragen Sie Ihren Fischverkäufer! Das sind fast alles hervorragend ausgebildete Köche! Sie glauben gar nicht, wie gerne die Ihnen Tipps geben und Tricks und Rezepte verraten werden …

HH: Ääähm … (Blättert in Aufzeichnungen)

D. W.: Faden verloren? (Schmunzelt)

HH: Nur fast. Das wollte ich Sie vorhin schon fragen, aber da war es gerade so spannend.

D. W.: Also?

HH: Dieser Begriff „Nachhaltigkeit“: Irgendwie gefällt mir der nicht so richtig. Weil ich glaube, dass jeder etwas anderes darunter versteht. Irgendwie schwammig zum Selbermachen. Gibt es da nicht irgendwelche harten Kriterien, vor allem bei der Fischereiwirtschaft?

D. W.: Stimmt, das ist eines dieser Wörter, die uns nicht wirklich weiterbringen. Lassen Sie mal sehen – gilt aber nur für Fisch und nicht für Schwein, Tomaten, Sojamilch oder Frühstücksflocken …

HH: Okay, fair genug …

D. W.: Also: schonende Fangmethoden, Verbot illegaler Fischerei, Discard-Verbot, also das Verbot, Tiere zurückzuwerfen, Einrichtung von Schutzgebieten, Kennzeichnung von Fanggebieten, Transparenz bei Fang, Handel und Transport. Was übrigens nicht heißt, dass alle diese Ziele schon vollständig erreicht wären. Aber diese Themen haben sich alle aus der Branche für die Zukunft auf die Fahne geschrieben.

HH: Ein langer Weg. Jetzt noch mal kurz zum Stichwort „anständige Preise“. Was ist denn ein unanständiger Preis?

D. W.: Unanständig heißt billig. Geiz ist nämlich überhaupt nicht geil. Wenn Sie ein erstklassiges Kabeljau-Rückenfilet haben möchten, dann müssen Sie das auch bezahlen, einfach weil das der beste Cut ist. Wenn Sie dagegen mit einem einfachen Filet zufrieden sind: auch gut. Das ist günstiger. Wie beim Rind oder Schwein eben auch. Je edler die Rasse, je besser der Cut – umso mehr müssen Sie ausgeben. Eigentlich ziemlich einfach.

HH: Okay. Ernennen wir den Begriff „Preis–Leistung“ zum Wort des Tages?

D. W.: Sehr gerne. Geben Sie für ein Fischfilet 1 € oder 2 € mehr aus und Sie werden im Geschmack und in der Qualität den Unterschied erkennen. So einfach ist das. Das ist einfach gut angelegtes Geld.

HH: Und die Beratung zur Zubereitung und so weiter gibt’s auch noch gratis dazu.

D. W.: Logisch! Ehrensache!

 

Interview und Redaktion: Joachim van Moll

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