Artischocken

Malerisch

Michelangelo Merisi da Caravaggio, kurz Caravaggio, einer der berühmtesten und sicher auch bedeutsamsten Maler der Renaissance, lebte wild und starb jung (* 1571, † 1610) – er brachte es gerade mal auf 39 Lenze, was sogar für seine Zeit keine besonders gute Ausbeute war. Zu Lebzeiten allerdings war er wirklich fleißig und schuf eine recht beachtliche Anzahl an Gemälden. Ungefähr 60 davon überdauerten wohl bis heute – manche ambitionierten Kunstexperten gehen sogar von 160 Gemälden aus, wer weiß, wie sie auf diese Zahl kommen mögen.

Handfest

Wie auch immer, ein paar seiner Bilder waren wirklich immens groß. So groß, dass sie weder in sein Atelier noch wirklich in seine Wohnung passten, woraufhin der etwas „andere“ Maler kurzerhand die Decken einriss, damit er seine Werke aufrecht hinstellen konnte. Das wäre im Grunde ja keine schlechte Idee gewesen, wenn er nicht zur Miete gewohnt und seine Vermieterin ob dieser Maßnahme nicht alles andere als begeistert reagiert hätte. Caravaggio verlor mal wieder die Contenance (das passierte ihm ziemlich oft, wie zu lesen ist) und bewarf die arme Frau und – viel schlimmer, weil äußerst teuer – deren Fensterscheiben kurzerhand mit jeder Menge Ziegelsteinen (was ja irgendwie naheliegend ist, wenn man gerade ein halbes Gebäude in Schutt und Asche gelegt hat – die Steine lagen bestimmt einfach noch herum).

Kriminell

Er hatte offenbar einiges an Übung im Umgang mit Wurf-, Stich-, Schlag-, Hieb- und Schießmaterial aller Arten, schließlich bewarf er auch die Polizei mit Steinen (bzw. die städtischen Ordnungshüter – eine Polizei im eigentlichen Sinne musste erst noch erfunden werden). Er fuchtelte mit Schwert und Pistole in den Straßen Roms herum und wurde ins Gefängnis geworfen, weil er einen Malerkollegen – immerhin nur mit den bloßen Fäusten – verprügelt hatte. Einen anderen schlug er mit einem Knüppel windelweich. Alles in allem zettelte er wohl jede Menge Schlägereien an.

Bei der schlimmsten Auseinandersetzung, um das mal so zu formulieren, bei der es – so heißt es je nach Quelle – um eine Frau, um ein Foul im Tennis (was natürlich noch kein Tennis war, sondern ein früher Vorläufer mit dem hübschen Namen „Jeu de Paume“, das eher dem heutigen Squash ähnelte) oder um eine unbezahlte Wettschuld ging, tötete er seinen Widersacher kurzerhand per Schwert und musste das Land fluchtartig verlassen. Der geniale Maler war ganz offensichtlich mit etwas ausgestattet, was man als „robustes Temperament“ bezeichnen könnte – er konnte sich wirklich über so gut wie alles aufregen und drehte dann richtig durch …

Empörend

Ziemlich berühmt, wenn auch zum Glück weniger tödlich, war sein Angriff auf einen, zugegeben, wohl eher mittelklassigen Kellner in der Osteria lo Moro am 26. April 1604. Dabei ging es – und endlich sind wir somit beim Thema – um nichts anderes als eine schöne, große Portion Artischocken.

Da standen also acht Artischocken auf dem Tisch, dampfend, glänzend und mit Öl überzogen. Oder war es Butter? Eigentlich hätten die mit Butter und die mit Öl jeweils separat serviert werden sollen. „Wie soll ich wissen, welche welche ist?“, knurrte Caravaggio. Der Kellner, ein gewisser Pietro Antonio Fosaccia, antwortete ein bisschen lapidar, wie man zugeben muss: „Riech daran, dann wirst du es schon herausfinden.“ Vielleicht hätte er das besser anders formuliert. „Es scheint, als wärst du der Meinung, du würdest hier irgendeinen minderbemittelten Idioten bedienen“, brüllte Caravaggio, schleuderte dem Mann den Teller samt Artischocken an den Kopf und griff nach dem nächstbesten Schwert (Schwerter zu tragen war zu der Zeit absolut üblich, wenn man etwas auf sich hielt).

Der Kellner gab den Vorfall bei den städtischen Schutzleuten später in etwa so zu Protokoll: „Der Angeklagte fragte mich, welche in Butter gekocht und welche in Öl gebraten seien. Ich riet ihm, sie zu riechen, das würde es ihm leicht ermöglichen, den Unterschied festzustellen. Er wurde wütend und griff, ohne ein weiteres Wort zu sagen, eine Tonschüssel und schlug mich damit auf die Wange – etwa in Höhe meines Schnurrbarts. Dann sprang er auf und ergriff das Schwert seines Freundes, das auf dem Tisch lag. Möglicherweise hatte er vor, mich damit anzugreifen, aber ich stand schnell auf und kam hierher, um eine offizielle Beschwerde einzureichen.“

Artischocken also: Wer sie liebt, verfällt ihnen, wer sie nicht mag, den treiben sie zur Weißglut – in ihnen steckt offensichtlich jede Menge Potenzial, und das wohl nicht nur in der Küche …

Artischocken verboten!

Entschlossen

In den frühen Morgenstunden des 21. Dezember 1935 betrat der damals amtierende Bürgermeister New Yorks, Fiorello LaGuardia, umgeben von einer Truppe Polizisten, den Bronx Terminal Market und wandte sich mit folgendem Anliegen an die leicht verwunderten Bauern und Verkäufer: Beginnend mit dem 26. Dezember würde die Stadt New York ein totales Verbot von Artischocken verhängen. Dieses Verbot umfasse den Verkauf, das Ausstellen und den Besitz von Artischocken in jedweder Form, also egal ob frisch oder eingelegt oder verarbeitet. Artischocken seien nämlich eine ernste und bedrohliche Gefahr für die Stadt.

Die Verfügbarkeit der Früchte würde von einem Monopol zweifelhafter Legalität gesteuert und reguliert (mit anderen Worten: der Mafia). Und um den Preis und die Distribution dieser Substanz zu beeinflussen, scheuten diese Kriminellen weder vor Gewalt noch Einschüchterung zurück. Das, so LaGuardia entschlossen, würde er nun ein für alle Mal beenden (der starke Mann der Stadt: Es war – da haben Sie genau richtig geraten – gerade Wahlkampf in New York …).

So lächerlich das heute vielleicht klingen mag, so unrecht hatte der empörte Bürgermeister eigentlich nicht, denn bis 1935 hatte sich die Mafia an der Artischocke bereits seit ungefähr 20 Jahren ganz schön gütlich getan. Um genau zu sein, waren Kontrolle der und illegale Erlöse aus der Artischocke zum Beispiel im beschaulichen Monterey County in Kalifornien etwa 666.000 US-Dollar pro Jahr wert – das entspricht einer heutigen Zahlkraft von etwa 12,5 Millionen US-Dollar. Nicht schlecht für ein bisschen Gemüse.

Sinnlos

Allerdings hatte die Mafia ihr Interesse an Artischocken schon vor LaGuardias denkwürdigem Auftritt weitestgehend verloren: Man hatte sich während der Prohibition wesentlich vielversprechendere Geschäftsfelder erschlossen. Außerdem dauerte das Artischocken-Embargo kaum drei Tage an, bevor es wieder komplett aufgehoben wurde. Man munkelte damals, dass LaGuardias persönliche Vorliebe für Artischocken durchaus ihren Teil dazu beigetragen haben könnte. Na ja …

Faszinierend

Die Artischocke polarisiert schon lange und wirklich stark: Plinius der Ältere nannte sie verachtend „eine der Monstrositäten dieser Welt“. Catherine de’ Medici dagegen aß so viele davon, dass ihre Leibärzte sie warnten, ein übermäßiger Verzehr würde zu ihrem vorzeitigen Ableben führen (aus welchen Gründen auch immer – das Schlimmste, was man zu befürchten hätte, wären nach heutiger Erkenntnis ein paar Blähungen).

Und dann – tja, dann – war da noch ein allmächtiger göttlicher Bewohner, wenn nicht gar Generalbevollmächtigter einer Gegend mit dem sportlichen Namen „Olymp“: Natürlich kann es sich hierbei nur um Zeus handeln, und wenn Sie an Mythen, Sagen und Legenden glauben, dann verdanken wir genau diesem alten Schlitzohr unsere allererste Artischocke:

Zeus hatte sich nämlich mal wieder, wie schon so oft, verguckt – und zwar (auch: mal wieder) in eine weltliche, sterbliche Schönheit namens Cynara. Um ein Zusammenkommen (schönes Wort in diesem Zusammenhang) zu ermöglichen, verwandelte Zeus Cynara kurzerhand in eine Göttin, damit sie ihn überhaupt in den Olymp begleiten konnte, und los ging es.

So weit, so gut, doch schon nach kurzer Zeit entwickelte Cynara heftiges Heimweh und entkam dem Olymp und somit auch Zeus in einer regelrechten Nacht-und-Nebel-Aktion. Das konnte der Gott der Götter natürlich nicht auf sich sitzen lassen und so verwandelte er Cynara zur Strafe kurzerhand in die erste – Artischocke. Ist das zu fassen? Weil ihm EIN Mädchen weggelaufen war? Der muss ja vielleicht Probleme mit seinem Selbstwert gehabt haben, der hohe Herr Zeus …

Kultiviert

Tatsächlich lautet der wissenschaftliche Name der Pflanze „Cynara scolymus“, was eigentlich ganz hübsch ist – schließlich kommt so die schöne, einsame und letztlich unglückliche olympisch-göttliche Ex-Geliebte noch mal voll auf ihre Kosten und, was noch viel wichtiger ist, sie bleibt wirklich unvergessen.

Der Ursprung der Artischocke ist etwas unklar (irgendwo im Mittelmeerraum), aber es gilt als sicher, dass sie zuerst in Italien im größeren Stil kultiviert, gezüchtet und angebaut wurde. Schlussendlich sind die Italiener ihre größten Liebhaber geblieben und wahrscheinlich auch diejenigen, die dieses etwas seltsame oder vielmehr besondere Gemüse am besten verstehen.

Kalifornien dagegen ist bis heute einer der Hauptproduzenten – Sie sehen: Da hatte die Mafia damals schon einen echt guten Riecher. Und obwohl die Anbaumengen seit den 80er-Jahren weitgehend stabil geblieben sind, gehen die Meinungen über die Artischocke noch heute so weit auseinander wie eh und je.

Ist ja eigentlich egal: Wer sie nicht mag, der muss sie ja schließlich auch nicht essen. Aber lecker ist sie schon …

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