Pavlova

Wenn wir heute eine klassische Ballettaufführung besuchen, dann sollte uns klar sein, dass es sich hierbei in den allergrößten Teilen um das Erbe des russischen Balletts handelt, das seinen Siegeszug vor gut 100 Jahren in St. Petersburg begann und dann über Paris, London und Monte Carlo die Welt im Sturm eroberte. Und eine der besten Tänzerinnen war dermaßen legendär, dass man ihr sogar eine eigene Nachspeise widmete …

Im Osten ging die Sonne auf

Allein der Name bringt uns sozusagen unmittelbar in den slawischen Sprachraum, also nach Osteuropa, und wenn man sich ihre Kunstfertigkeit, ihre Leichtigkeit, ihre Zartheit und ihre verlockende Schönheit ansieht, dann kann die Pavlova ja eigentlich nur mit einem kulturellen Großereignis in Zusammenhang stehen, das zu Anfang des 20. Jahrhunderts die ganze Welt eroberte: das russische Ballett.

Natürlich ist der inszenierte Kunsttanz viel älter als gut 100 Jahre, aber das, was so ab 1909 in St. Petersburg begann und dann in die Welt getragen wurde, hob das Ballett noch mal auf ein ganz anderes Niveau, was wir im Grunde einer einzigen, recht schillernden Persönlichkeit zu verdanken haben: Sergei Pawlowitsch Djagilew. Und wenn Sie es jetzt eilig haben sollten und in seinem Namen schon den Ursprung der Pavlova gefunden zu haben glauben, dann bitten wir Sie noch um etwas Geduld – er ist nämlich nicht der Namensgeber für dieses wunderbare Dessert.

Auf jeden Fall liebte der offen schwul lebende Djagilew die schönen Künste, sammelte und kuratierte Gemälde, Möbel und Bronzen, gab das für seine Zeit überaus fortschrittliche Kunstmagazin „Mir Iskusstwa“ (Die Welt der Kunst) heraus und wurde 1899 quasi ganz nebenbei zum künstlerischen Berater des kaiserlichen Theaters in Moskau (wo er bereits zahlreiche Opern und Ballette inszenierte). Damit nicht genug: Djagilew hatte sich felsenfest vorgenommen, die russische Kunst – sei es die klassische oder die avantgardistische, sei es bildende Kunst, Musik oder Bühnenwerke – in den Westen (bzw. zunächst einmal nach Europa) zu tragen, was ihm mit sehr großem Erfolg auch gelang.

Sein Meisterwerk – und dafür ist er bis heute unvergessen – war, dass er im Jahr 1909 aus den talentiertesten und besten Tänzerinnen und Tänzern des Landes das Ensemble „Ballets Russes“ zusammenstellte, das in der Folgezeit große Teile der Welt bereiste und das russische Ballett international bekannt, um nicht zu sagen: unsterblich machte. Kleines Problem am Anfang war nur, dass die Top-Tänzer weitgehend bei ihren jeweiligen Häusern fest unter Vertrag standen und somit nicht mal eben so für mehrwöchige oder gar -monatige Tourneen ausgeliehen werden konnten.

Der Trick mit der Hose

In einem speziellen Fall und bei einem der allerbesten Tänzer der damaligen Zeit und Welt ging der Impresario sogar so weit, dass er dem damals schon legendären Tänzer Vaslav Nijinsky (mit dem er übrigens eine mehrjährige Affäre hatte) vorschlug, bei seinem nächsten Gala-Auftritt auf die sonst üblichen Oberhosen (die Teil des Bühnenkostüms waren) zu verzichten und stattdessen nur in Balletthosen aufzutreten, also in den knallengen weißen Beinkleidern, wie wir sie auch heute noch an den Tänzern sehen.

Problem (oder Trick) an der Sache war dabei allerdings, dass der Aufführung die erzkonservativen Romanows beiwohnten (das ist die Familie, die so viele Zaren hervorgebracht hatte) und dass das Fehlen der Oberhosen so verstanden wurde, dass Nijinsky schlicht in Unterwäsche tanzte. Skandal! Es kam, wie es kommen musste (und nach Djagilew wohl auch kommen sollte): Nijinsky wurde fristlos gefeuert und konnte nun nach Herzenslust reisen, wie und wohin er nur wollte.

Im Westen ging die Sonne auf

Sofort machte ihn Djagilew zum „Zugpferd“ seiner Ballets Russes, die vor allem im Paris der 1920er- und 1930er-Jahre riesige Erfolge feierten. Hier wurde, und das ganz ohne Übertreibung, der Grundstein für das moderne Ballett gelegt, wie es auch heute noch zum Beispiel durch das „American Ballet Theatre“ oder auch durch die Kompanie des „New York City Ballet“ gelehrt und gelebt wird. Kurzum: Die Ballets Russes wurden zu einer der berühmtesten und erfolgreichsten Ballettkompanien überhaupt in ihrer Zeit – und wir reden hier von mindestens 20 Jahren ununterbrochen.

Mit einem sensationell guten männlichen Part war es aber natürlich noch lange nicht getan, gerade auch die weiblichen Rollen stellten allerhöchste Ansprüche an Athletik, Ästhetik, Ausstrahlung und an die Eleganz der Tänzerinnen. Und auch wenn im Grunde jede Menge weibliche Talente aus der St. Petersburger Schule zur Verfügung standen, waren es nur ganz wenige Primaballerinen, die den enormen Erwartungen Djagilews und natürlich des verwöhnten Publikums in Paris, Monte Carlo oder London überhaupt gerecht werden konnten. Eine dieser Ausnahme-Tänzerinnen war die 1881 in St. Petersburg (wo sonst?) geborene Anna Pawlowna Pawlowa, die 1909 zu den Ballets Russes kam und an der Seite des Ausnahmetänzers Nijinsky zum absoluten Weltstar der Ballettszene wurde.

Im Süden ging die Sonne auf

Sehr lange, weite und ausgedehnte Tourneen brachten die beiden (und ihr Ensemble natürlich auch) in die ganze Welt und überall überschlugen sich Besucher und Kritiker vor Begeisterung (bei längeren Übersee-Passagen fanden die Tourneen übrigens immer ohne Djagilew statt, weil er furchtbar unter der Seekrankheit litt). Und nachdem die nähere Neue Welt, also namentlich auch die Vereinigten Staaten, besucht und begeistert worden war, ging es schließlich einmal 1926 und dann wieder 1929 noch weiter weg und das Ensemble – immer noch mit Pawlowa und Nijinsky als Superstars an der Spitze – gastierte in Australien und in Neuseeland. Unnötig zu erwähnen, dass es auch hier praktisch kein Halten gab und die Ballets Russes frenetisch gefeiert wurden.

Im Herzen ging die Sonne auf

Allen voran war es aber nicht unbedingt Nijinsky, der die Herzen der Zuschauer im Sturm eroberte, sondern die zarte, langbeinige, elegante, leichtfüßige und bezaubernde Anna Pawlowa, die ihr Publikum in schöner Regelmäßigkeit augenblicklich in Verzückung versetzte.

Die Begeisterung war Down Under sogar dermaßen groß, dass eine wunderbar leichte, hübsche und überaus köstliche Nachspeise nach Pawlowa benannt (bzw. für sie erfunden) wurde, die sich im Lauf der Zeit zum Nationaldessert mauserte und sowohl von Australien als auch von Neuseeland eifersüchtig als „ihr Gericht“ beansprucht wird (mehr zur Küche Neuseelands finden Sie hier). Die einen, weil sie das erste schriftliche Rezept nachweisen können (Neuseeland 1927 oder 1929 – da sind sich die Quellen nicht ganz einig), und die anderen (Australien 1935) sehr konkret mit Namensbezug: „Es [das Baiser] ist leicht wie die Pavlova“, womit nur Anna Pawlowa gemeint sein kann, weil im Weiteren auch von der Inspiration durch das Tutu der Diva gesprochen wird.

Der Trick des Baiserteigs liegt darin, dass er außen zwar mild-knusprig ist, innen aber nicht bis zur Trockenheit durchgebacken wird (wobei die Zugabe von Zitronensaft oder Essig und etwas Speisestärke eine wichtige Rolle spielen). Das macht ihn zwar ziemlich empfindlich, verleiht ihm aber andererseits diese unerreichte Luftigkeit.

Seine Fragilität ist auch der Grund für zwei verschiedene Varianten des Rezepts: Die einen schneiden das Baiser nach dem Backen und Trocknen auf und füllen die Pavlova dann mit Schlagsahne und frischen Früchten (Passionsfrucht ist sehr typisch), die anderen lassen dieses Wagnis lieber bleiben und belegen das abgekühlte Gebäck nur noch von oben, wobei Schlagsahne hier genauso wichtig ist wie das frische Obst.

Achten Sie also mal drauf: Eine Pavlova ist tatsächlich kreisrund und strahlend weiß, der Teig sehr leicht und fluffig, schön süß und schmilzt auf der Zunge. Darüber hinaus machen die Schlagsahne und die aufgelegten und fein dekorierten Früchte das kulinarische Sehnsuchtsstück – genau wie eine geglückte Ballettinszenierung – zum farbenfrohen und wunderschön anzusehenden Gesamtkunstwerk. Kein Wunder, dass sich alle darum reißen!

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